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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.08.2006
Aktenzeichen: 20 U 84/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 917
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. 02. 2006 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin will die Anordnung eines dinglichen Arrests in das Vermögen des Beklagten erreichen.

Der Beklagte betreibt das Gewerbe einer Diamantenwerkzeugbearbeitung in einer Werkhalle in S, "B-Straße". Für diesen Betrieb hat er bei der Klägerin eine Betriebsinhaltsversicherung, eine Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung sowie für die Werkhalle eine Gebäudeversicherung genommen.

Am 05.04.2002 kam es zu einem Brand im Betrieb des Beklagten; der Brandherd befand sich in einer Senkerodiermaschine.

Nach längeren Verhandlungen trat die Klägerin schließlich in die Schadenregulierung ein und zahlte insgesamt 172.089,00 €.

Unter dem 20.09.2005 ist gegen den Beklagten Anklage (76 Js 352/04 StA Bielefeld) erhoben worden wegen Betruges zum Nachteil der Klägerin und Nötigung. In der Anklageschrift wird dem Beklagten vorgeworfen, die Senkerodiermaschine nach Betriebsschluß ohne Aufsicht weiter betrieben und die in der Maschine befindliche Feuerlöschanlage außer Funktion gesetzt zu haben. Wahrheitswidrig habe er jedoch dieses grob fahrlässige Verhalten, das zum Verlust des Versicherungsschutzes führe (§ 61 VVG), verschwiegen und behauptet, die Maschine sei bei Ausbruch des Brandes abgeschaltet gewesen. Überdies habe er den Zeugen L, seinen damals in seinem Betrieb beschäftigten Schwager, durch Drohungen genötigt, seine falsche Darstellung zu bestätigen.

Die Klägerin sieht sich leistungsfrei sowohl wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Brandes als auch wegen vorsätzlich falscher Angaben zum Schadenshergang.

Ihren Bereicherungsanspruch (§ 812 BGB) hat sie bislang noch nicht eingeklagt.

Die Klägerin hat beantragt, wegen ihrer Arrestforderung in Höhe von 172.089,00 € einen dinglichen Arrest in das Vermögen des Beklagten anzuordnen. Zur Glaubhaftmachung des Arrestanspruchs hat sie die Anklageschrift sowie eidesstattliche Versicherungen vorgelegt. Als Arrestgrund hat sie das "hochkriminelle Verhalten des Beklagten" angeführt, der seine Vermögensinteressen über die anderer stelle und auch die Nötigung seines Schwagers zur Falschaussage nicht gescheut habe. Daraus hat sie eine Wiederholungsgefahr abgeleitet; es sei zu besorgen, daß ohne die Verhängung des Arrestes eine Vollstreckung eines noch zu erstreitenden Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

Das Landgericht hat zunächst dem Antrag entsprochen (Beschluß vom 18.01.2006).

Der Beklagte hat Widerspruch eingelegt, den ihm angelasteten Betrug bestritten und insbesondere den Arrestgrund in Abrede gestellt. Selbst wenn der Anklagevorwurf zuträfe, sei daraus keine Wiederholungsgefahr abzuleiten. Er habe mit den Versicherungsleistungen seinen Betrieb wieder aufgebaut und führe ihn bis heute weiter. Er sehe sich bereits seit Anfang 2005 dem Vorwurf des Betruges ausgesetzt und habe seinen Geschäftsbetrieb in der gewohnten Weise fortgeführt. Dadurch sichere er potentiellen Gläubigern die Möglichkeit des Zugriffs auf vorhandenes Vermögen. Durch eine Vollstreckung des dinglichen Arrestes würde sein Geschäftsbetrieb zum Erliegen kommen, da ihm jegliche Liquidität entzogen würde.

Das Landgericht hat durch das am 20.02.2006 verkündete Urteil den Arrestbefehl aufgehoben und den Antrag auf Anordnung des Arrests zurückgewiesen. Auf den Inhalt des Urteils wird - auch hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivortrags in erster Instanz - Bezug genommen.

Die Klägerin greift das Urteil mit der Berufung an und verfolgt ihr Ziel weiter, die Anordnung des dinglichen Arrest in das Vermögen des Beklagten zu erreichen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines Vortrags aus erster Instanz und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht den Arrestbeschluß aufgehoben und den Antrag auf Anordnung des dinglichen Arrests zurückgewiesen.

1. Arrestanspruch

Der Senat hat schon Zweifel, ob die Klägerin mit der Vorlage der Anklageschrift einen Arrestanspruch hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Diese Zweifel basieren nicht nur auf der als problematisch einzuschätzenden Glaubwürdigkeit des Zeugen L, auf dessen - wiederholt wechselnder - Aussage der gesamte Vorwurf der Anklage basiert und mit dem auch die Klägerin die Voraussetzungen ihres Bereicherungsanpruchs wird beweisen müssen. Zweifel ergeben sich auch deshalb, weil der Zeuge L die Werkshalle zeitlich vor dem Beklagten verlassen hat, so daß mit der Aussage dieses Zeugen nicht ohne weiteres die Behauptung des Beklagten zu widerlegen sein wird, daß er am 05.04.2002 die Werkshalle erst verlassen hat, nachdem die Bearbeitung des Werkstücks beendet war und die Maschine abgeschaltet hatte.

2. Arrestgrund

Es kann jedoch dahinstehen, ob der Arrestanspruch glaubhaft gemacht ist.

Denn jedenfalls verneint der Senat, daß ein Arrestgrund glaubhaft gemacht ist.

Dabei ist weniger Gewicht darauf zu legen, daß die Klägerin schon seit Anfang 2005 Kenntnis von den gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen erlangt hatte, ohne zeitnah gehandelt zu haben, worauf das Landgericht u.a. seine Entscheidung gestützt hat. Denn die Anordnung des dinglichen Arrests setzt keine Eilbedürftigkeit voraus. § 917 ZPO besagt nichts dazu, wann ein Arrest zu beantragen ist. Es geht allein darum, ob zu besorgen ist, daß ohne eine Sicherung der Klägerin die Vollstreckung eines (dermaleinst zu erstreitenden) Urteils vereitelt oder erschwert wird.

Die Klägerin führt als Arrestgrund allein das "hochkriminelle Verhalten des Beklagten" an, der wegen Betruges und Nötigung angeklagt ist.

Der Senat folgt indes nicht der Ansicht der Klägerin, ein Arrestgrund sei immer gegeben, wenn ein Arrestgläubiger einen Schadensersatzanspruch aus einer strafbaren Handlungen des Schuldners geltend macht.

Die Rechtsprechung dazu, ob eine strafbare Handlung als Anspruchsgrundlage stets einen Arrestgrund darstellt, scheint zunächst nicht ganz einheitlich zu sein. Einigkeit herrscht jedoch insoweit, als die Frage, ob konkret eine Vollstreckungsvereitelung zu befürchten ist, jeweils eine Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls erfordert (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 11.03.1975 - VI ZR 231/72 - VersR 1975, 753; auch OLG Dresden, Beschl.v. 13.02.1998 - 9 W 197/98 - MDR 1998, 796). Auch Entscheidungen, die "regelhaft" bei Straftaten eine Vollstreckungsvereitlung anzunehmen geneigt sind (so die von der Klägerin zitierte Entscheidung OLG München, Beschl. v. 09.01.1970 - 12 W 1707/69 -VersR 1971, 89 (L) = MDR 70, 934, sowie OLG Dresden, aaO.) schließen im Einzelfall Ausnahmen von der angenommenen Regel nicht aus. Der BGH hat in seinem oben zitierten Urteil konkrete Anhaltspunkte für die Besorgnis gefordert, daß ein Schuldner über die Verletzung seiner Vertragspflichten hinaus auch sein Vermögen dem drohenden Zugriff des Gläubigers entziehen werde und deutlich gemacht, daß es mit dem allgemeinen "Erfahrungssatz", wonach derjenige, der einmal unredlich gewesen ist, das auch in Zukunft sein werde, nicht getan sei. Das OLG Düsseldorf (Urt.v.18.09.1979 4 U 119/79 - VersR 1980, 50) hat aufgrund entsprechender Überlegungen ausgeführt, daß es den "Regelfall" einer Straftat nicht gebe und zudem nach Aufdeckung der unerlaubten Handlung ohnehin eine neue Situation für den Täter entstehe; eine Regel, daß sich die kriminelle Energie eines Täters über die Entdeckung der Tat hinaus auch auf Vollstreckungsvereitelung erstrecke, gebe es nicht (so auch OLG Köln, Beschl. v. 02.06.1999 - 16 W 14/99 - NJW-RR 2000, 69).

Dem schließt sich auch der Senat an.

Bei der danach erforderlichen Abwägung der konkreten Umstände des Streitfalles sind folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:

Der Beklagte hat nicht, wie sonst in Arrestfällen beschrieben, Vermögen beiseitegebracht, verschleiert, oder Anlage- oder Immobilienvermögen veräußert. Er hat im Gegenteil das Betriebsgrundstück, das er zuvor in Erbpacht hielt, inzwischen käuflich erworben und bedient die zur Anschaffung aufgenommenen Kredite, schafft mithin Vermögen, auf das eventuelle Gläubiger zugreifen können. Die ihm ausgezahlte Versicherungssumme von 172.089,00 € hat der Beklagte nicht etwa zweckentfremdet, sondern in seinen Betrieb investiert, den er weiterhin betreibt. All das ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert und von der Klägerin auch nicht bestritten worden. Der Beklagte hat mithin nach Erhebung des - von ihm bestrittenen Betrugsvorwurfs keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, sein Vermögen dem Zugriff von Gläubigern zu entziehen; vielmehr scheint er bestrebt zu sein, Vermögen zu schaffen.

Demgegenüber steht das - behauptete und bestrittene - Verhalten des Beklagten, der falsche Angaben gegenüber der Klägerin gemacht und der zudem einen Zeugen durch Nötigung zu einer ihm nützlichen Aussage bestimmt haben soll. Der Tatvorwurf betrifft ein Verhalten des Beklagten im April 2002. Hätte der Beklagte mit fortdauernder krimineller Energie sein Vermögen dem drohenden Zugriff seiner Gläubigers entziehen wollen, so wären jedenfalls entsprechende Anstrengungen in der Zeit nach dem Betrugsvorwurf zu erwarten gewesen. Solche Anstrengungen werden auch von der Klägerin nicht behauptet.

Aus den dargestellten Umständen kann der Senat keine Anhaltspunkte für die Besorgnis feststellen, daß der Beklagte sein Vermögen dem drohenden Zugriff der Beklagten entziehen werde. Mithin ist kein Arrestgrund gegeben.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. I, 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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